18. September 2018
Digitaler Nachlass

Allgemein bringt man mit dem Begriff „Nachlass“ im erbrechtlichen Sinn den Übergang von Vermögenswerten aus analogen Rechtsbeziehungen (z.B. Immobilien, Wertpapiere, Barvermögen, Schmuck und andere Wertgegenstände) in Verbindung. Doch in heutiger Zeit sind E-Mails, soziale Netzwerke, Streamingdienste usw. aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Mit der rasant zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft stellen Daten einen immer größeren Bestandteil unserer Rechtsbeziehungen dar und werden so auch zwangsläufig Bestandteil der Hinterlassenschaft eines Menschen. Diese technische und gesellschaftliche Entwicklung hat zu einer kontroversen juristischen Diskussion der Frage geführt, was mit ihnen passiert, wenn ein Mensch stirbt.  Diese Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun zum ersten Mal entschieden.

Beim digitalen Nachlass handelt es sich um eine Vielzahl von Rechtspositionen eines verstorbenen Internetnutzers, insbesondere um dessen Vertragsbeziehungen zu Host-, Access- oder E-Mail-Providern sowie zu Anbietern sozialer Netzwerke oder virtueller Konten. Weiterhin zählen dazu Eigentumsrechte des Verstorbenen an Hardware, Nutzungsrechte an der Software, Urheberrechte und Rechte an hinterlegten Bildern, Foreneinträgen und Blogs.

Nach dem im Erbrecht geltenden Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge gehen sämtliche Rechts- und Vermögenspositionen des Erblassers – der Nachlass – mit seinem Ableben unmittelbar auf den oder die Erben über. Diskutiert wird derzeit, ob das ohne weiteres auch für den sogenannten „digitalen Nachlass“ gilt. Grundsätzlich besteht zwar Einigkeit darüber, dass digitale Daten ebenso wie analoge Inhalte (z.B. Briefe oder Tagebücher) zum Nachlass gehören und folglich vererbt werden. Umstritten ist aber die Frage, ob das gesetzlich geregelte Fernmeldegeheimnis einem Zugriff auf die Daten durch die Erben entgegensteht. Es geht also um die Frage, ob das Fernmeldegeheimnis dem Erbrecht vorgeht.

Zum ersten Mal stellte sich diese Rechtsfrage mit einem Fall im Jahr 2015, als Eltern ihrer infolge eines U-Bahn-Unglücks verstorbenen 15-jährigen Tochter von Facebook Zugriff auf deren dortigen Account verlangten, der ihnen aber verwehrt wurde. Das Social-Media-Unternehmen hatte das Profil des Mädchens vielmehr in einen sogenannten „Gedenkzustand“ versetzt, in welchem ein Zugang  – auch mit den Nutzerdaten –  nicht mehr möglich war. Von einem Zugriff auf die Daten (und dem dadurch möglichen Lesen der Facebook-Eintragungen) erhofften sich die Eltern, Aufschluss über einen etwaigen Suizid ihrer Tochter zu bekommen, auch um Schadensersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren. Die Mutter als eine Erbin der Tochter erhob daraufhin Klage gegen Facebook.

Nachdem das Berliner Landgericht zunächst zugunsten der Mutter urteilte, gab das Berliner Kammergericht Facebook recht. Die Eltern bekamen keinen Zugang zum Facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter. Der BGH hob dieses Urteil nun zugunsten der Erben auf und sprach ihnen Zugang zum Facebook-Account zu (Urteil vom 12.07.2018, Az. III ZR 183/17).

In seinem Urteil klärte der BGH folgende bisher offene Rechtsfragen bezüglich der Vererbbarkeit des digitalen Nachlasses:

1)      Da die verstorbene Tochter Erblasserin im Sinne des Erbrechts ist, ist ihre nutzungsvertragliche Beziehung zu Facebook im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihre Erben übergegangen.

2)      Eine Gedenkzustands-Klausel, die nicht in Nutzungsbedingungen von Facebook geregelt ist, würde nur wirksam in den Nutzungsvertrag mit Facebook einbezogen, wenn sie der AGB-Kontrolle des BGB standhält. Die Klauseln zum Gedenkzustand seien laut BGH hier bereits nicht in den Vertrag einbezogen worden. Außerdem wären sie unwirksam.

3)      Die Verpflichtung aus einem Nutzungsvertrag mit einem Social-Media-Unternehmen hat nicht zum Inhalt, die Nachrichten oder sonstigen Inhalte an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der Absender einer Nachricht könne dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass das Unternehmen sie nur für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es bestehe aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten müsse mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden und nach dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses.

4)      Es bestehe aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, höchstpersönliche digitale Inhalte anders als höchstpersönliche analoge Inhalte wie Tagebücher oder persönliche Briefe zu behandeln. Daher sind auch höchstpersönliche digitale Inhalte vererbbar.

5)      Weder das postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen noch das Fernmeldegeheimnis stehen dem Anspruch auf Zugang zum Account entgegen, da die Erben vollständig in die Position des Erblassers eingerückt seien.

6)      Auch die seit dem 25.05.2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stehe dem Zugang der Erben nicht entgegen, da diese Verordnung nur lebende Personen schütze und datenschutzrechtliche Belange der Erblasserin nicht (mehr) betroffen seien.

Diese Entscheidung des BGH-Urteils betrifft zwar formal nur den konkreten obigen Fall, zeigt aber den künftigen Weg des allgemeinen Umgangs mit dem digitalen Nachlass auf. Für das Erbrecht ist das Urteil daher von wesentlicher Bedeutung. Allerdings wird erst die Zukunft zeigen, wie die digitale Gesellschaft mit diesem Urteil umgehen wird. So haben einige Unternehmen in der Vergangenheit trotz Vorlage eines Erbscheins den Zugang zu den Accounts des Verstorbenen verweigert.

Hinweis:

Um seinen Erben den Umgang mit der geerbten digitalen Hinterlassenschaft zu erleichtern, ist es hilfreich, eine Liste mit allen Konten für z.B. genutzte E-Mail-Dienste, soziale Netzwerke, Bezahldienste, eigene Homepages, Streaming-Dienste usw. einschließlich der Passwörter zu erstellen. Der Erblasser kann dabei auch festlegen, was mit seinen Datenträgern wie Computer, Smartphone, Tablet und v.a. den darauf gespeicherten Daten geschehen soll. Denkbar sind auch Hinweise, was mit seinen Profilen in sozialen Netzwerken oder mit seinen von ihm ins Internet gestellten Fotos geschehen soll. Diese Liste sollte stets aktuell gehalten und entweder ausgedruckt an einem sicheren Ort hinterlegt oder als Dokument sicher gespeichert werden. Wichtig dabei ist, dass die Erben im Falle des Todes auch Zugang dazu haben!

Tim Wöhler, Fachanwalt für Steuerrecht
Rechtsanwalt