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25. Juni 2018
Neues zum Sanierungsgewinn oder „Der Sanierungserlass ist tot – Es lebe der Sanierungserlass!“

Neues zum Sanierungsgewinn oder „Der Sanierungserlass ist tot – Es lebe der Sanierungserlass!“

Im Rahmen von Sanierung oder Insolvenzplanverfahren verzichten Gläubiger häufig auf Forderungen, um dem Unternehmen eine Perspektive zu ermöglichen. Hieraus entstehen regelmäßig Buchgewinne in betroffenen Unternehmen ohne Liquiditätszufluss. Diese unterliegen grundsätzlich bei Kapitalgesellschaften der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer und bei natürlichen Personen bzw. Personengesellschaften der Gewerbesteuer und/oder der persönlichen Einkommensteuer.

Die auf die sogenannten Sanierungsgewinne entstehenden Steuern stellen eine zusätzliche Liquiditätsbelastung da, die in der Regel nicht finanziert werden kann und somit die Sanierung letztendlich behindern oder sogar scheitern lassen. Hierüber hatten wir bereits in unserem Blog berichtet.

Grundsätzlich wollen der deutsche Gesetzgeber und die Finanzverwaltung, dass derartige sinnvoll für Sanierung eingesetzte Forderungsverzichte nicht der Ertragssteuerbelastung unterliegen. Nachfolgend geben wir Ihnen einen kurzen Überblick über die Historie und zum Sachstand der aktuellen rechtlichen Situation in Deutschland.

Seit Mitte der 30iger Jahre gab es in den deutschen Steuergesetzen bereits eine gesetzlich geregelte Befreiung für die sogenannten Sanierungsgewinne. Diese gesetzliche Regelung wurde Ende der 90iger Jahre aufgehoben, mit der Einführung der Mindestbesteuerung. Daraufhin brauchten die Sanierungspraxis und die Finanzverwaltung Regelungen, um Fälle möglichst gleich behandeln zu können. Dazu gab es seit 2003 den sogenannten Sanierungserlass des BMF[1], der letztendlich die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen definierte. Damit war der Finanzverwaltung ein klarer Handlungsrahmen an die Hand gegeben. Das Ermessen zur Entscheidung über die Stundung und den späteren Erlass von Steuern aus Sanierungsgewinnen war auf „0“ reduziert worden, wenn die Voraussetzungen des Erlasses gegeben waren. Damit konnte die Sanierungspraxis bis Anfang Februar 2017 recht gut leben. Hinderlich war nur, dass dieser Sanierungserlass lediglich die Finanzbehörden quasi gebunden hat, nicht jedoch die für die Gewerbesteuererhebung zuständigen Gemeinden. Insofern musste man immer bei Sanierungsfällen sowohl mit den zuständigen Finanzämtern und ggf. höheren Finanzbehörden sowie den jeweiligen Gemeinden verhandeln.

Das alles wurde durch eine Entscheidung des großen Senats des BFH[2], die am 7. Februar 2017 veröffentlich wurde, „über den Haufen geworfen“. Der große Senat sagte, dass Verwaltungsanweisungen bzw. Erlasse, die das Ermessen der Finanzverwaltung auf „0“ reduzieren, gesetzesähnlich seien. Die Finanzverwaltung hätte diese Kompetenz nicht, sondern lediglich der Gesetzgeber. Unabhängig davon, ob dieses Urteil inhaltlich nachvollziehbar ist oder nicht, hat es die Sanierungspraxis vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Der große Senat sagte zwar, dass nach wie vor Stundungen und Erlasse in Einzelfällen aus persönlichen oder sachlichen Billigkeitsgründen möglich seien, die Sanierungspraxis hat diese Einzelfallentscheidungen aber recht selten durchbekommen.

Der Gesetzgeber hat erfreulicherweise sehr schnell reagiert und hat die auch vom großen Senat und der gesamten Sanierungs- und Insolvenzszene geforderte gesetzliche Regelung zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen geschaffen, sodass nunmehr endlich wieder wie vor 1999 eine gesetzliche Regelung sowohl für die Körperschaftsteuer, Einkommensteuer als auch die Gewerbesteuer vorhanden ist. Einziger Nachteil ist, dass dieses Gesetz, was ab 9. Februar 2017 gelten soll, noch nicht in Kraft getreten ist. Grund ist, dass der Gesetzgeber ein Prüfverfahren bei der EU eingeleitet hat, um feststellen zu lassen, ob es sich um eine sogenannte erlaubte Beihilfe handelt oder nicht. Hierüber befindet die europäische Kommission immer noch. Es steht zu befürchten, dass die Entscheidung nicht vor Ende des Jahres kommt. Sollte bis zum Ende des Jahres keine Entscheidung da sein, muss das Gesetzgebungsverfahren wieder erneut in Gang gesetzt werden.

Die Frage ist nun, wie ist mit Forderungsverzichten umzugehen, die vor der Veröffentlichung der Entscheidung des großen Senats rechtlich vollzogen worden sind. Die Finanzverwaltung hat in einem Schreiben aus dem April 2017[3] schnell reagiert. Sie hat erfreulicherweise die Auffassung vertreten, dass der alte Sanierungserlass noch für die Altfälle, d.h. wirksame Forderungsverzichte bis zum 08.02.217, voll anwendbar sein sollte, insbesondere auch aus Vertrauensschutzgründen. Durch bereits vorher beim BFH anhängige Verfahren, in denen Steuerpflichtige die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen erreichen wollten, hat der BFH in zwei Entscheidungen dem auch einen Riegel vorgeschoben.

Im August 2017 meinte der BFH[4], dass die Finanzverwaltung nicht ermächtigt sei, quasi wiederum ein gesetzesgleiches Vorgehen für die Vergangenheit zu tolerieren oder für anwendbar zu halten. Somit stand die Sanierungspraxis wieder vor der Frage, wie mit den sogenannten Altfällen umzugehen ist. Wiederum in beeindruckender Schnelligkeit und Klugheit hat die Finanzverwaltung reagiert und hat für die beiden entschiedenen Urteile sogenannte Nichtanwendungserlasse herausgegeben.[5] Das bedeutet, dass diese Urteile nur in den entschiedenen Einzelfällen anzuwenden sind, nicht aber darüber hinaus. Insofern haben die in diesem Verfahren betroffenen Steuerpflichtigen leider Pech gehabt. Für die Sanierungspraxis ist es jedoch eine gute Nachricht. Es ist im Moment nicht davon auszugehen, dass weitere Fälle vor dem BFH landen.

Offene Altfälle sollten aber nun möglichst schnell zusammen mit der Finanzverwaltung „erledigt“ werden.

Was ist nun mit laufenden Sanierungs- oder Insolvenzverfahren, in denen Forderungsverzichte durch Gläubiger ausgesprochen worden sind oder werden sollen, die nach den 9. Februar 2017 begonnen haben und die noch nicht abgeschlossen sind?

Hier kann die Finanzverwaltung zurzeit, mangels gesetzlicher Grundlage und aufgrund fehlender Anwendbarkeit des Sanierungserlasses aus 2003, keine Stellung beziehen. Steuererklärungen für das Jahr 2017, in denen entsprechende Sanierungsgewinne erklärt werden, werden sicherlich jetzt noch nicht beschieden werden. Verbindliche Auskünfte der Finanzbehörden zu Sachverhalten, um eine Rechtsicherheit für die Steuerfreiheit der Sanierungsgewinne zu erhalten, werden nach unserer Kenntnis höchstens vereinzelt in einigen Bundesländern erteilt. Insofern warten alle auf die hoffentlich positive Entscheidung der Kommission. Ein halbes Jahr in 2018 ist nun schon um, sechs Monate sind noch Zeit.

Drücken wir alle gemeinsam die Daumen.

Wenn dann diese gesetzliche Regelung endlich in Kraft tritt, so kann man festhalten, dass es sich um eine extrem komplizierte Regelung handelt. Da man aber im deutschen Steuerrecht mit sehr komplizierten Verlustverrechnungsregelungen alles richtig und gerecht machen will, geht es leider nun mal nicht anders.

Aber besser ein kompliziertes Gesetz als gar kein Gesetz!

Positiv ist, dass das Gesetz dann auch für die Gewerbesteuer gilt, was einen echten Fortschritt bedeutet.

In Fällen, in denen jetzt bereits Sanierungen stattfinden oder begonnen werden sollen, man aber aufgrund der gesetzlichen Unsicherheit die Sanierungsgewinne noch nicht rechtlich entstehen lassen kann oder will, gibt es Überlegungen und Konstruktion wie das gelingen kann. Hierzu können Sie gern unsere Experten ansprechen.

Sie merken also die Überschrift „Der Sanierungserlass ist tot – es lebe der Sanierungserlass“ hat durchaus seine Berechtigung.

[1] Schreiben des BMF vom 27.3.2003, IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240.

[2] Beschluss des BFH vom 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, 393.

[3] Schreiben des BMF vom 27.04.2017, IV C 6 – S 2140/13/10003, BStBl I 2017, 741.

[4] Urteiles des BFH vom 23.8.2017, I R 52/14, DStR 2017, 2322 und X R 38/15, DStR 2017, 2326.

[5] Schreiben des BMF vom 29.03.2018, IV C 6 – S 2140/13/10003, BStBl. I S. 588.

Dipl.-Kfm. Carsten Deecke, Fachberater für Sanierung u. Insolvenz­verwaltung (DStV e.V.)
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater