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19. Januar 2021
Neuregelung der Umsatz- und Lohnsteuerverbindlichkeiten nach dem SanInsFoG zum 01.01.2021 bei vorläufiger Eigenverwaltung

Im Eiltempo hat der Gesetzgeber zum Jahresende 2020 das Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) verabschiedet, welches nun die EU-Restrukturierungsrichtlinie 2019/1023 vom 20. Juni 2019 in nationales Recht umsetzt.

Das SanInsFoG trat weitestgehend zum 1. Januar 2021 in Kraft. Hiermit soll finanziell angeschlagenen Unternehmen ein nahtloser Übergang von der bis zum Jahreswechsel befristet ausgesetzten Insolvenzantragsfrist (bei Überschuldung) zur vorinsolvenzlichen Restrukturierung ermöglicht werden.

Die anderen insolvenzrechtlichen Verfahren, wie Regelinsolvenz mit und ohne Eigenverwaltung, bleiben weiterhin bestehen, werden also nur durch den neugeschaffenen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ergänzt. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Blogbeitrag zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen.

Änderungen im Bereich der Umsatzsteuer, Lohnsteuer und anderer Verbrauchsteuern

Durch das SanInsFoG wurde auch § 55 Abs. 4 Satz 1 der Insolvenzordnung angepasst.

§ 55 Abs. 4 Satz 1 InsO regelt, wie bestimmte Steuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen sind.

In diesem Bereich gab es zuvor eine Ungleichbehandlung, die der Gesetzgeber beseitigen wollte.

Worum geht es hier konkret?

In Deutschland und der EU haben wir ein Allphasen-Nettoumsatzsteuersystem mit Vorsteuerabzug, bei dem der Unternehmer für Rechnung des Staates die Umsatzsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen hat. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht für eigene Rechnung, sondern nur treuhänderisch für das Finanzamt einzieht, es sich also nicht um Gelder des Unternehmens, sondern um Steuergelder des Staates handelt.

Auch die Lohnsteuer gehört wirtschaftlich nicht dem Unternehmer, sondern den Arbeitnehmern. Der Arbeitgeber hat diese lediglich für den Arbeitnehmer als „Vorauszahlung“ auf dessen Einkommensteuer einzuhalten und an das Finanzamt abzuführen.

Gerät nun der Unternehmer in wirtschaftliche Schieflage, so dass Insolvenzantragsgründe vorliegen, wurde nach der bisherigen Rechtslage unterschieden, ob der Unternehmer z. B. Umsatzsteuerbeträge für erbrachte Leistungen im Rahmen des vorläufigen Regelinsolvenzverfahrens eingenommen hat, oder er sich in einem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren mit Sachwalter befunden hat.

Nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des § 55 Abs. 4 InsO a. F. galten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden waren, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Diese haben gegenüber den Insolvenzforderungen für den Fiskus den großen Vorteil, dass sie, sofern keine Masseunzulänglichkeit oder Massearmut vorliegt, in voller Höhe vom Insolvenzschuldner bedient werden müssen.

Der Staat als Umsatzsteuergläubiger muss sich also hinsichtlich solcher Umsatzsteuerforderungen nicht auf die Befriedigung in Höhe einer häufig geringen Insolvenzquote verweisen lassen, sondern kann sich insoweit auf eine Befriedigung vor den übrigen Insolvenzgläubigern in voller Höhe freuen. Diese auch „Fiskusprivileg“ genannte Regelung soll verhindern, dass im Rahmen eines vorläufigen Regelinsolvenzverfahrens Umsatzsteuerbeträge vereinnahmt werden, die dann nicht an das Finanzamt abgeführt werden, sondern die schuldnerische Liquidität verbessern.

In diesem Bereich war in den letzten Jahren gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs[1] und des Bundesgerichtshofs[2] ergangen, in der die Gerichte gegen die Befriedigung des Staates bei vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren (auch sog. „Schutzschirmverfahren“) aus der Insolvenzmasse entschieden hatten. Hiernach musste der Staat seine Forderungen auch als Insolvenzforderungen anmelden und wurde dann nur quotal aus der Insolvenzmasse bedient.

Mit der Gesetzesänderung wird das „Fiskusprivileg“ auf alle Insolvenzverfahren ausgeweitet.

Was ändert sich konkret?

Im Gesetzestext hieß es bisher allgemein „die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis“. Welche Steuerverbindlichkeiten gemeint sind, wird im aktuellen Gesetzestext durch die einzelne Nennung der Steuerarten (Umsatz- und Lohnsteuerverbindlichkeiten, sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern und die Kraftfahrzeugsteuer des Insolvenzschuldners) konkretisiert.

Außerdem werden zukünftig auch Umsatzsteuerverbindlichkeiten erfasst, die vom Schuldner in einem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet werden. Diese Steuerverbindlichkeiten werden bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Masseverbindlichkeiten umqualifiziert, die dann vorrangig zu befriedigen sind. Das war bislang nur beim vorläufigen Regelverfahren möglich.

Ab wann gilt diese Neuregelung?

Die Neuregelung trat weitestgehend zum 01.01.2021 in Kraft, gilt also für alle Insolvenzverfahren, für die ein Antrag auf Insolvenzeröffnung nach dem 31.12.2020 gestellt wird.

Unsere Einschätzung

Die Finanzverwaltung und auch der Gesetzgeber sehen sich als Staat im Rahmen des Insolvenzverfahrens klar in einer Sonderrolle. In diesem Bereich der Zuordnung seiner Ansprüche zu den Masse- oder Insolvenzforderungen stellt der Staat seine Forderungen über die der anderen Gläubiger. So überrascht aus unserer Sicht diese profiskalische gesetzliche Neuregelung bzw. Klarstellung nicht.

Die Neuregelung schafft Klarheit darüber, welche Steuerverbindlichkeiten konkret unter § 55 IV InsO fallen sollen. Dies begrüßen wir, auch wenn wir das „Fiskusprivileg“ für nicht sachgerecht halten.

Zumindest wird die Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Insolvenzverfahren beseitigt, so dass die betroffenen Unternehmen sich unabhängig der o. g. Problematik dem für sie geeignetem Insolvenzverfahren unterziehen können.

[1] BFH Urteil V R 26/19 vom 23.07.2020 – Vorsteuervergütung im Insolvenzeröffnungsverfahren
Leitsatz: § 55 Abs. 4 InsO ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche zugunsten der Masse anzuwenden.
[2] BGH, Urteil vom 22.11.2018 – IX ZR 167/16
Leitsätze: 1. Der Schuldner begründet im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren auch außerhalb des Schutzschirmverfahrens nach § 270 b InsO nur insoweit Masseverbindlichkeiten, als er vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist. 2. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist die Bestimmung des § 55 IV InsO nicht entsprechend anwendbar.

Dipl.-Kfm. Carsten Deecke, Fachberater für Sanierung u. Insolvenz­verwaltung (DStV e.V.)
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
Dipl.-Finw. Robert Lackmann
Steuerberater
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