11. Februar 2020
BFH bestätigt restriktive Auslegung der erbschaftsteuerlichen Befreiung für Familienheime auch in Renovierungsfällen

Die Übertragung eines sogenannten „Familienheims“ kann erbschaft- und ggf. auch schenkungsteuerlich begünstigt sein. Dies erfolgt systematisch über die steuerlichen Befreiungsvorschriften §§ 13 I Nr. 4 lit. a bis c ErbStG. Die Rechtsprechung vertritt hierzu in Auslegungsfragen seit Längerem[1] schon eine restriktive – eng am Wortlaut und Zivilrecht orientierte – Auffassung. Der restriktive Ansatz rechtfertigt sich nach Meinung des BFH einerseits in dem begünstigenden Charakter der Steuerbefreiung und andererseits auf Basis von latenten Zweifeln an der Verfassungsmässigkeit der Norm. Dies hat sich kürzlich erneut in einem Urteil des II. Senats[2] niedergeschlagen. In dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt ging es inter alia um den durch notwendige Renovierungsarbeiten bedingten zeitlichen Verzug bis zum Einzug in das Familienheim. Daran knüpfte sich die Frage, ob der Erwerber in zeitlicher Hinsicht („unverzüglich“) die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt hatte.

Sachverhalt[3]

Der Kläger und sein Bruder beerbten zusammen ihren am 5. Januar 2014 verstorbenen Vater. Zum Nachlass gehörte u.a. ein Zweifamilienhaus mit einer Wohnfläche von 120 qm, das der Vater bis zu seinem Tod allein bewohnt hatte. Die Brüder schlossen am 20. Februar 2015 einen Vermächtniserfüllungsvertrag, nach dem der spätere Kläger das Alleineigentum an der Wohnimmobilie des verstorbenen Vaters erhalten sollte. Die Eintragung in das Grundbuch erfolgte erst ca. anderthalb Jahre später, am 2. September 2015. Angebote von Handwerkern zur Renovierung der Immobilie holte der Kläger ab April 2016, also über 2 Jahre nach Erbfall, ein. Die Bauarbeiten zur Renovierung begannen letztlich im Juni 2016.

In seiner Einspruchsbegründung gegen den Erbschaftsteuerbescheid gab der Steuerpflichtige und spätere Kläger an, das Haus seines Vaters zunächst renovieren zu wollen, es alsdann als Zweitwohnsitz selbst zu nutzen und nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses seinen Hauptwohnsitz in die Immobilie zu verlagern. Das Finanzamt lehnte den Einspruch ab, die Klage vor dem Finanzgericht Münster blieb im Ergebnis ebenfalls erfolglos.

 

Urteil

Der BFH, in Gestalt des zuständigen II. Senats, vermochte der Berufungsklage nicht stattzugeben.

Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals Bestimmung zur Selbstnutzung stellt der BFH in der Begründung des Urteils zunächst klar, dass der Erwerber als Bedingung der Steuerbefreiung fortan seinen Lebensmittelpunkt in der (erworbenen) Immobilie haben muss. Der Hintergrund hierzu ist, dass das Familienheim als schützenswerter Ort des familiären Zusammenlebens steuerlich begünstigt werden soll. Das bedingt, dass der Erwerb aber dann nicht begünstigt ist, wenn die Immobilie für den Erwerber nur eine Zweit- oder Ferien-Immobilie ist.[4] Unterhält der Erwerber mehrere Wohnsitze ist dieser Umstand also nur dann für die Steuerbefreiung unschädlich, wenn der Lebensmittelpunkt (nach qualitativen Kriterien ermittelt) in das erworbene Familienheim verlegt wird. Anhaltspunkt hierfür ist die melderechtliche Erfassung als Hauptwohnsitz. Als innere Tatsache („Absicht“) ist die Bestimmung an sich im Übrigen nur durch äußere Anhaltspunkte – also die konkrete Umsetzung des Vorhabens durch den Einzug und entsprechende Eigennutzung – nachprüfbar.[5]

Der Einzug (inkl. Verlegung des Hauptwohnsitzes) hat mit dem Wortlaut der Norm weiterhin „unverzüglich“ zu erfolgen. Der BFH rekurriert zur Auslegung auf das Zivilrecht, namentlich § 121 I BGB. Hiernach bedeutet „unverzüglich“ das Vornehmen einer Handlung ohne schuldhaftes Zögern. Vor diesem Hintergrund folgert der BFH, dass regelmäßig ein Zeitraum von 6 Monaten nach dem Erbfall angemessen sei, um von einer unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung sprechen zu können. Dies umfasst sowohl die Entscheidungsfassung zur Verlagerung des Wohnsitzes sowie die Umsetzung des Umzugs.[6]

Nach dem II. Senat ist es zwar auch möglich (und zulässig), die Selbstnutzung erst nach mehr als 6 Monaten aufzunehmen. In diesen Fällen obliege es aber dem Steuerpflichtigen, den Zeitpunkt des Entschlusses zur Eigennutzung darzulegen und darüber hinaus Umstände glaubhaft zu machen, die ihn an einem früheren Einzug hinderten. Ferner hat der Steuerpflichtige auch zu erläutern, warum er die angeführten Gründe der Verzögerung nicht selber zu vertreten hat. Beispielhaft werden an dieser Stelle Fälle der Erbauseinandersetzung oder Klärung des Erbanfalls als mögliche Gründe für ein Überschreiten der Sechsmonatsfrist genannt. Insoweit hat der Erbe nur, wenn überhaupt, bedingt Einfluss auf Prozess und Geschehen. Solche Gründe aber, auf die der Erwerber Einfluss hat und die zu einer Verzögerung des Einzugs führen (hier wird beispielhaft die Renovierung genannt) seien nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Je größer der Zeitraum zwischen Erbfall und tatsächlichem Einzug ist, desto höher seien die Anforderungen, die an die Darlegungslast des Erwerbers und seine Begründung des Verzugs zu stellen sind.

 

Anmerkung

Der erkennende II. Senat des BFH bleibt seiner bisherigen restriktiven Rechtsprechung zur Steuerbefreiung von Familienheimen treu: Der Sachverhalt bot bedauerlicherweise keine Notwendigkeit, sich zu Grenzfällen zu positionieren. Vielmehr konnte es der BFH dahinstehen lassen, ob das (laut Sachverhalt wohl zwingend notwendige) Zuwarten auf das Wirksamwerden des Vermächtniserfüllungsvertrags (etwas mehr als 1 Jahr nach Erbfall) bzw. die Eintragung in das Grundbuch (erst ca. 1,5 Jahre nach Erbfall) nun schädlich für die Steuerbefreiung sind oder nicht. Entscheidungserheblich war lediglich, dass der Kläger mehr als 2 Jahre nach Erbfall bzw. mehr als 6 Monate nach Eintragung in das Grundbuch erst mit der Einholung von Angeboten zur Renovierung der Immobilie begann. Die Renovierungsarbeiten begannen in der Folge noch später.

Wird die Grenze von 6 Monaten überschritten, bedarf es besonderer Gründe für die Verzögerung, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten haben, darf. Ob und unter welchen Voraussetzungen (notwendige) Renovierungsarbeiten taugliche Gründe für eine Verzögerung darstellen bleibt offen. Der BFH stellt lediglich klar, dass es „besonderer Voraussetzungen“ bedarf.

Mit der Realität hat diese Sichtweise indes wenig zu tun. Wird ein „Familienheim“ an Kinder vererbt dürfte der Regelfall vielmehr so gelagert sein, dass die Eltern Jahrzehnte in der Immobilie wohnten. Entsprechender Instandhaltungsstau ist in solchen Fällen eher die Regel als die Ausnahme. Ob allein die Beauftragung umfangreicher Umbau- und Renovierungsarbeiten dann allerdings zum Einhalten der Grenze genügt (wenn der Einzug erst nach Renovierung stattfindet) lässt der BFH ebenfalls offen. Da der Wortlaut auf die „Bestimmung zu eigenen Wohnzwecken“ abstellt, wäre ein Anknüpfen an die Renovierung zur Eigennutzung als Indiz für ein Vorliegen der „Bestimmung“ nach meinem Dafürhalten gerechtfertigt. Dies gilt gerade auch, weil die Wortlautgrenze eingehalten ist, die der BFH auf Basis von verfassungsrechtlichen Bedenken[7] für jedenfalls beachtenswert ansieht, gewahrt bleibt. Vor dem Hintergrund, dass die Verlagerung des Lebensmittelpunktes gefordert wird, erscheint es spiegelbildlich gerechtfertigt, dem Steuerpflichtigen die Freiheit zu lassen, für ihn lebenswerte Bedingungen des Wohnens zu schaffen. Man könnte die Steuerbefreiung in solchen Fällen an den unverzüglich nach erfolgter Renovierung vollzogenen Einzug knüpfen.

Letztlich erscheint der Zeitraum von 6 Monaten zu kurz gegriffen und nur schwer umsetzbar. Die Kriterien des BFH sind außerdem schwammig, was zu erhöhtem Konfliktpotenzial mit der Finanzverwaltung führen dürfte. Wünschenswert ist daher eine klare Positionierung zu einer lebensnahen Verwaltungspraxis seitens der Finanzverwaltung. Soweit ersichtlich, wurde sich aber hierzu noch nicht geäußert.[8] Den Steuerpflichtigen und der Praxis kann daher nach aktueller Rechtsprechung nur geraten werden, möglichst innerhalb von 6 Monaten zu agieren.

[1]     Vgl. beispielsweise auch: FG München, Urteil vom 24.02.2016 – 4 K 2885/14, EFG 2016, 731; BFH, Urteil vom 23.06.2015 – II R 13/13,, BStBl. 2016, II 223, in: DStRE 2015, 1249.

[2]     Vgl. BFH, Urteil vom 28.05.2019, II R 37/16.

[3]     Vgl. Pressemitteilung vom 25.7.2019 Nr. 44/2019, abrufbar unter: www.bundesfinanzhof.de (Stand 10/2019).

[4]     Vgl. BFH, Urteil vom 28.05.2019, a.a.O., Rz. 18.

[5]     Vgl. BFH, Urteil vom 28.05.2019, a.a.O., Rz. 17.

[6]     Vgl. BFH, Urteil vom 28.05.2019, a.a.O., Rz. 21.

[7]     Vgl. BFH, Urteil vom 23.06.2015 – II R 13/13, BStBl. 2016, II 223, in: DStRE 2015, 1249 Rz. 21 m.w.N.

[8]              Die Finanzverwaltung sieht – entgegen dem Wortlaut – durchaus die Möglichkeit, dass auch der Erwerber des Familienheims an der Selbstnutzung durch zwingende Gründe gehindert ist (R E 13.4 Abs. 7 S. 5 f. ErbStR 2019). Jedoch werden unter zwingenden Gründen, z. B. Pflegebedürftigkeit ohne Möglichkeit der Haushaltsführung oder Minderjährigkeit verstanden. Dem BMF schweben also eher Gründe einer „objektiven“ Unmöglichkeit vor, die eher selten einschlägig sein dürften.

Lars Starke, LL.M.
lstarke@dierkes-partner.de
Telefon 040 - 36156 - 166