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20. August 2019
Vor- und Nacherbschaft

Ehegatten mit gemeinsamen Kindern möchten sich für den Fall des Todes häufig zunächst gegenseitig finanziell absichern und setzen sich dazu häufig gegenseitig zu Erben ein. Erst nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sollen die gemeinsamen Kinder Erben werden. Eine hierzu häufig gewählte Variante des gemeinschaftlichen Testaments ist das sogenannte Berliner Testament. Bei dieser Gestaltung werden die als Schlusserben eingesetzten Kinder Erben des letztversterbenden Ehegatten und erben an Vermögen (nur) das, was an Vermögen (noch) vorhanden ist. Hat der zuletzt versterbende Ehegatte das Vermögen vollständig aufgebraucht, bleibt für die erbenden Kinder nichts mehr übrig.

Um sicherzustellen, dass die als finale Erben eingesetzten Kinder zumindest das Vermögen vom zuerst versterbenden Elternteil nach dem Tod des letztversterbenden Elternteils erhalten, können die Ehegatten statt des sogenannten Berliner Testaments in einem gemeinschaftlichen Testament eine sogenannte Vor- und Nacherbschaft anordnen. Bei dieser Gestaltung darf der überlebende Ehegatte als Vorerbe die Erbschaft lediglich nutzen, die Substanz soll jedoch für den späteren Übergang auf die Kinder als Nacherben erhalten werden.

Mit der testamentarischen Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft werden die Reihenfolge und die Dauer der Nutzung des Nachlasses bestimmt. Der Erblasser setzt eine Person (seinen Ehegatten) als Vorerben ein, der die Erbschaft für einen bestimmten Zeitraum nutzen kann. Die Nacherben (Kinder) werden erst dann Erben des Erblassers, wenn die Vorerbschaft endet. Soweit nichts anderes im Testament bestimmt ist, erfolgt der Übergang auf die Nacherben mit dem Tod des Vorerben. Die Nacherben erben also nicht vom Vorerben, sondern vom ursprünglichen Erblasser. Damit für die Nacherben noch etwas vom Vermögen übrig bleibt, darf der Vorerbe grundsätzlich nicht über die Erbschaft bzw. die zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände verfügen.

Mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft soll zum einen die wirtschaftliche Versorgung des überlebenden Ehegatten (Vorerbe) und zum anderen die Weitergabe der Substanz an die Kinder (Nacherben) sichergestellt werden.

Neben diesen Motiven gibt es weitere Konstellationen, in denen die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft sinnvoll sein kann. Dies betrifft zum Beispiel die Gestaltung von Unternehmensnachfolgen.

Neben der erbrechtlichen Gestaltung ist wie bei allen größeren Erbschaften besonderes Augenmerk auch auf die erbschaftsteuerlichen Folgen einer solchen testamentarischen Regelung zu richten. Bei der Vor- und Nacherbschaft ist zu beachten, dass die Nacherben aus erbschaftsteuerlicher Sicht als Erben des Vorerben (erstversterbenden Ehegatten) angesehen werden. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der vom erstversterbenden Ehegatten stammende Nachlass grundsätzlich aus erbschaftsteuerlicher Sicht zweimal zu versteuern ist. Zudem ist zu beachten, dass bei einer solchen Gestaltung den Nacherben neben dem Vermögen des Erstversterbenden auch das Vermögen des Zweitversterbenden (Vorerben) anfällt. Beide Vermögensanfälle sind erbschaftsteuerlich getrennt zu beurteilen.

Welche testamentarische Gestaltung sinnvoll ist und gewählt wird, muss in jedem Einzelfall gesondert und anhand der Gesamtumstände individuell beurteilt werden, da jeder Fall seine Besonderheiten hat. Das Erbrecht bietet dazu neben dem Berliner Testament und der Vor- und Nacherbfolge diverse weitere Gestaltungsmöglichkeiten.

Tim Wöhler, Fachanwalt für Steuerrecht
Rechtsanwalt