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2. März 2021
Nachweis des niedrigeren gemeinen (Immobilien-)Werts durch ein Sachverständigengutachten

Die Bewertung von Immobilien anlässlich eines Erbfalls oder einer Schenkung stellt oftmals einen Streitpunkt zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung dar. Die zutreffende Wertermittlung ist freilich nicht trivial, weshalb oftmals zur individuellen Wertfindung Sachverständigengutachten eingeholt werden. Der sachzuständige zweite Senat des BFH hat dazu in seinem Urteil vom 5. Dezember 2019 (Az. II R 9/18) seine bisherige restriktive Rechtsprechung erneut bestätigt, nach der der Nachweis eines niedrigeren Immobilienwerts mittels Gutachten nur dann anzuerkennen sei, wenn das (fachlich nicht zu beanstandende) Gutachten entweder durch den örtlich zuständigen Gutachterausschuss oder einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellt wurde. Damit stellt sich der BFH erneut explizit gegen die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung in R B 198 ErbStR 2019. Die Finanzverwaltung hat allerdings erneut mit einem gleichlautenden Länder-Nichtanwendungs-Erlass vom 2. Dezember 2020 reagiert und wendet das Urteil II R 9/18 nicht über den Einzelfall hinaus an. Doch zunächst der Reihe nach.

Gesetzlich ist die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke nach festgelegten typisierenden Verfahren vorgesehen. Sie erfolgt zum steuerlich relevanten Stichtag unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse und Wertverhältnisse, §§ 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. 157, 176 ff. BewG. Erkannt hat der Gesetzgeber dabei durchaus die Möglichkeit, dass typisierende Verfahren den tatsächlichen Verkehrswert jedes individuellen Grundstücks bestenfalls näherungsweise wiedergeben und im Übrigen nicht in jedem Fall zu zutreffenden Ergebnissen führen. Sei es, dass z. B. untypische Wertminderungen vorhanden sind oder ein Investitionsstau unberücksichtigt bleibt. Hierfür wurde dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht eingeräumt, einen – gegenüber den gesetzlichen Verfahren – niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, vgl. § 198 BewG. Der Nachweis kann entweder durch einen zeitnahen Kauf oder Verkauf des zu bewertenden Grundstücks und eine Ableitung aus dem hieraus resultierenden Kaufpreis oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erfolgen. Wichtig ist, dass bei sachgerechtem Nachweis nach § 198 BewG die Finanzverwaltung dem niedrigeren Wert zu folgen hat.

Wird die Einholung eines Gutachtens nur aus steuerlichen Gründen erwogen sollte zunächst geprüft werden, ob die vermeintliche Steuerersparnis die diametralen Gutachterkosten übersteigt. Anderenfalls wäre die Beauftragung wirtschaftlich unsinnig. Sodann stellt sich die Frage, ob hierfür jedwede Wertermittlung in Anwendung der Vorschriften i.S.d. §§ 198 BewG, 199 I BauGB (also z. B. der Immobilienwertermittlungsverordnung, ImmoWertV) den Anforderungen genügt, oder ob es Restriktionen bei der Auswahl des Gutachters gibt. Die Frage ist in Praxi von Bedeutung. Bei Erheblichkeit entscheidet die Gutachterqualifikation schon im Ansatz über Erfolg und Nichterfolg der Nachweiserbringung.

Der BFH hat in nunmehr ständiger (neuerer) Rechtsprechung[1] entschieden, dass der Steuerpflichtige im Kontext des § 198 BewG die Nachweislast trägt. Diese gehe über eine reine Darlegungs- und Feststellungslast hinaus.[2] Demnach darf bei Vorlage eines solchen privat beauftragten Gutachtens eine Bestellung weiterer Sachverständiger (durch die Behörden) nicht mehr notwendig sein. Anderenfalls, so der BFH, würde die Nachweislast in ihrem Wesensgehalt tatsächlich auf eine Darlegungs- und Feststellungslast reduziert. Für den Nachweis des niedrigeren Werts gem. § 198 BewG sei hierfür nur ein Gutachten durch den örtlich zuständigen Gutachterausschuss oder einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen geeignet.[3]

Die Finanzbehörden lassen demgegenüber regelmäßig ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder „eines Sachverständigen“ für die Bewertung von Grundstücken genügen, R B 198 (3) ErbStR 2019. Entsprechend lassen sich begrifflich hierunter nicht nur öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, sondern auch weitere Sachverständige fassen. Hierzu ist nun – in Reaktion auf das BFH-Urteil vom 5. Dezember 2019 – ein erneuter gleich lautender Erlass der obersten Länderfinanzbehörden in Gestalt eines Nichtanwendungserlasses ergangen. Demnach ist das vorbenannte Urteil über den Einzelfall hinaus von den Finanzbehörden nicht anzuwenden.[4] Wie schon im Nichtanwendungserlass vom 19. Februar 2014 (als Reaktion auf das BFH-Urteil vom 11. September 2013[5]) vertritt die Finanzverwaltung auch weiterhin die Auffassung, dass Steuerpflichtige den Nachweis des niedrigeren Werts regelmäßig durch ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen, der über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Bewertung von Grundstücken verfügt, erbringen kann.[6] Hierunter seien Personen zu fassen, die von einer staatlichen, staatlich anerkannten oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken bestellt oder zertifiziert worden sind.

Der Nichtanwendungserlass ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen. Insbesondere ergibt sich eine Einschränkung der anzuerkennenden Gutachter gerade nicht aus § 198 BewG direkt. Dieser knüpft im zweiten Satz der Vorschrift vielmehr an die Verordnungen an, die kraft § 199 I BauGB erlassen wurden (z. B. ImmoWertV). Ein Gutachten, welches in Übereinstimmung mit solchen Verordnungen erstellt wurde, ist im Grundsatz also anzuerkennen. Dem tritt der BFH mit rechtssystematischen Bedenken entgegen. Fiskalische Bedenken, dem Steuerpflichtigen stünden nunmehr Tür und Tor für eine zu niedrige Bewertung offen, erscheinen gleichwohl wenig begründet. Denn Rechtsprechung und Finanzverwaltung sind sich einig, dass das Gutachten nicht automatisch Bindungscharakter für die Feststellung des Grundbesitzwertes entfaltet. Vielmehr unterliegt das Gutachten der freien Beweiswürdigung von Finanzverwaltung[7] und erstinstanzlichen Finanzgerichten[8]. Dies bedeutet, dass das für die Bewertung zuständige Finanzamt, aber auch ein Tatsachen feststellendes Finanzgericht, das Gutachten inhaltlich prüfen und würdigen kann. Enthält ein Gutachten Mängel, ist es zurückweisen – wird also nicht zur Wertfindung herangezogen. Es kommen dann die gesetzlichen Bewertungsmethoden zur Anwendung.

Damit können sich Steuerpflichtige gegenüber der Finanzverwaltung (aber eben auch nur dieser) im Deklarations- und Rechtsbehelfsverfahren nunmehr auf den o.g. Nichtanwendungserlass berufen. Zu beachten ist aber, dass dies nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht für die Finanzgerichte gilt. Gerichtlich wird, wie oben ausgeführt, nur ein Gutachten des örtlichen Gutachterausschusses oder eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für einen Nachweis nach § 198 BewG anerkannt. Gleichwohl dürfte der Nichtanwendungserlass einerseits zu verminderten Konfliktfällen mit der Finanzverwaltung führen. Zudem hilft dem Steuerpflichtigen, soweit die Finanzverwaltung unter Anerkennung eines Gutachtens die Immobilie niedriger als die gesetzlichen Verfahren bewertet hat, das Verbot der reformatio in peius (gerichtliches Verböserungsverbot).

[1] Vgl. BFH, Urteil vom 11.9.2013 – II R 61/11, BFHE 243, 376, BStBl. II 2014, 363 m.w.N., sowie nunmehr Urteil vom 5.12.2019 – II R 9/18, in: DStRE 2020, 886 sowie ZEV 2020, 506.
[2] Vgl. BFH, Urteil vom 5.12.2019 – II R 9/18, in: DStR 2020, 1493 (1. amtl. Leitsatz).
[3] Vgl. BFH, Urteil vom 5.12.2019 – II R 9/18, in: DStR 2020, 1493 ff. Rz. 18 ff.
[4] Vgl. Gleich lautende Erlasse (GLE) der obersten Finanzbehörden der Länder vom 2. Dezember 2020, S 3229 – 2020/02 – 53 (FB der Freien und Hansestadt Hamburg), Absatz 2.
[5] Vgl. BFH, Urteil vom 11. September 2013, II R 61/11, BStBl. II 2014, 363.
[6] Vgl. GLE vom 2. Dezember 2020, a.a.O., Absatz 3.
[7] So auch R B 198 (3) S. 2 ErbStR 2019.
[8] Vgl. BFH, Urteil vom 5.12.2019 – II R 9/18, in: DStR 2020, 1493 ff. unter Rz. 13.

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